Immer wieder stellt sich mir die Frage: Ist die „Sonderrolle“, die digitalen Lernmedien oftmals in der Forschung und Rezension von Unterrichtsmedien zugesprochen wird, überhaupt sinnvoll und sachdienlich? Häufig werden in Studien digitale und nichtdigitale Lernmedien miteinander verglichen oder argumentativ voneinander abgegrenzt als ob die pure Eigenschaft, dass etwas in digitaler oder analoger Form vorliegt den entscheidenden Unterschied macht. Besonders bizzar finde ich, dass es teilweise eigene Kriterienkataloge für Lernsoftware gibt, als ob für das Lernen grundlegend andere Kriterien gelten würden als für andere Lernmedien.. Viel sinnvoller wäre es, bestehende didaktische Kriterien um Kritierien für technische Eigenschaften zu ergänzen.Um nicht falls verstanden zu werden: Natürlich sind digitale Lernmedien anders, was technische Eigenschaften angeht. Jedoch hinsichtlich der Inhalte, die damit umgesetzt werden können und der damit erreichten Lernunterstützung spricht meiner Meinung nach nichts dafür, eine Sonderrolle auf dieser Ebene zu postulieren. Einzelne digitale Lernprodukte können die technischen Eigenschaften vielleicht besonders gut für die Lernunterstützung nutzen. Aber mit sogenannten Neuen Medien können genauso nützliche wie unnützliche Lernmittel realisiert werden wie mit anderen, „analogen“ Medien. Viel entscheidender als das Trägermedium ist die didaktische Qualität der Anwendung!
Im Mathematikunterricht spielen „Tools“ (Hiebert et al. 1997) eine zentrale Rolle. Als Werkzeuge gelten alle Mittel (neben gegenständlichen Arbeitsmitteln auch z.B. Sprache), die das Lernen unterstützten können. Werkzeuge müssen immer hinsichtlich der Unterstützung des Lernens gesehen werden. Sie müssen sich zur Bewerkstelligung von (mathematischen) Problemen nutzen lassen, zum Nachdenken und zur Kommunikation über mathematische Themen und zum Festhalten von Ideen (Hiebert et al. 1997). Meiner Ansicht nach sollte dieser Werkzeugcharakter zentrales Kriterium für den Einsatz von Lehr- und Lernmittel im Mathematikunterricht sein, und weniger die technischen Eigenschaften des Mediums. Eine Unterscheidung (bzw. der Vergleich) zwischen digitalen und nicht digitalen Lernmedien führt nicht zu viel mehr, als unnötig und unbegründet zu polarisieren („Digitale Lernmedien sind besser/schlechter als andere Unterrichtsmedien“) und damit Unterscheidungen zu provozieren, die im didaktischen Diskurs gar nicht sinnvoll sind. Sie stellen das Trägermedium ins Zentrum und nicht die didaktischen Eigenschaften der damit realisierten Werkzeuge. Es sollte vielmehr überlegt werden, wie (egal ob mittels digitaler oder analoger Medien) Werkzeuge geschaffen werden können, die den Lernenden bei der Auseinandersetzung mit bestimmten Lerninhalten helfen. Dies würde den Blick weg von technischen Eigenschaften auf didaktische Überlegungen richten (vgl. Urff 2010). Und ich denke, dass gerade digitaler Lernmedien durch ihre Beschaffenheit und Flexibilität einige (zumeist ungenützte) Potentiale haben, die sich didaktisch nutzen lassen und zu didaktisch überzeugenden mathematischen Lernmitteln führen können. Diese müssen jedoch allein an ihrer didaktischen Funktion, ihrem Mehrwertpotential, bemessen werden, und nicht an medialen Eigenschaften (vgl. Urff 2010). Deshalb müssen hier auch dieselben Kriterien gelten wie für andere mathematische Arbeitsmittel (z.B. Anbahnung nichtzählender Lösungsstrategien).
Literatur
Hiebert, J., Carpenter, T. P., & Fennema, E. (1997). Making Sense: Teaching and Learning Mathematics with Understanding. Heinemann.
Urff, C. (2010): Potentiale und Perspektiven computergestützter Lernförderung beim Erwerb grundlegender mathematischer Kompetenzen. Zeitschrift für Heilpädagogik, 61 (4), S. 141-150
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