Ich lese gerade das Buch „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer . Man kommt ja gar nicht drum herum, sich damit zu beschäftigen. Herr Spitzer präsentiert seine Thesen überall.
Manche Punkte, auf die Herr Spitzer so hinweist, sind sicherlich nicht ganz falsch. Aber sie sind auch nicht richtig. In den vielen Interviews und auch im Buch stört mich, dass Herr Spitzer seine Aussagen kaum differenziert. Für ihn gibt es nur (böse!) digitale Medien und das Gehirn. Obwohl die von ihm zitierten Studien tatsächlich jeweils nur eine bestimmte Anwendung untersucht haben (z.B. Playstation, Internetspiele, Facebook, Google-Suche, …) entsteht der Eindruck, die Ergebnisse gelten für sämtliche digitale Medienanwendungen und für „das Internet“ an sich. Eine differenzierte Auswertung der Studien hätte sicherlich zu sinnvolleren und praktischeren Folgerungen der Mediennutzung geführt (wie beispielsweise hier) als die Angst- und Panikmache, die Spitzer durch ein generelles Verteufeln digitaler Medien betreibt. Spitzer kommt zu der vereinfachten Folgerung: Digitale Medien haben einen schlechten Einfluss auf das Gehirn und führen langfristig zu Demenz (was übrigens durch keine Studie nachgewiesen ist). So einfach ist es aber nicht.
Spitzer begeht einen Denkfehler, der auch viele Vergleichsstudien digitale vs. nichtdigitale Medien so nichts aussagend macht. Digitale Medien sind per se weder gut noch böse, denn sie sind nur Träger für bestimmte Inhalte und Anwendungen. Manche Inhalte, die mit digitalen Medien umgesetzt werden, unterstützen das Lernen und andere eher nicht. Ich kann ein Computerspiel mit extensiver Gewaltdarstellung nicht einfach mit einem mathematischen Lernspiel gleichsetzen. Es ist nicht so einfach wie Spitzer dies vermittelt, dass nämlich digitale Medien die Aktivierung des Gehirns generell vermindern und dass alle Studien, die eine positive Wirkung auf das Lernen nachweisen schlecht konstruiert sind. Es gibt durchaus Anwendungen, die eigenaktives Lernen fördern (auch wenn die zugegebenermaßen selten sind) und dazu gibt es auch gut gemachte Studien dazu. So differenziert betrachtet Herr Spitzer die Sache aber leider nicht.
Weil Herr Spitzer immer so gerne hervorhebt, wissenschaftlich zu sein und nicht nur seine eigene Meinung zu vertreten, lese ich das Buch besonders kritisch. Dies tun andere auch, und ich habe hier mal einige interessante Blogartikel zusammengetragen, die für die Auseinandersetzung mit dem Buch bzw. den Medienauftritten von Herr Spitzer hilfreich sind:
- Markus Appel und Constanze Schreinber – Digitale Demenz? Mythen und wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Internetnutzung
- Harald Staun – Mein Kopf gehört mir
- Kompetenz statt Demenz – Studien, die Spitzers Thesen widersprechen
- Digitale Potenz – ein Überspitzer gegen den Über-Spitzer
- Manfred Spitzer bei Günther Jauch – die Aftershow-Party
- Martin Lindner’s Zwischenbilanz zur Digitalen Demenz
- Andre Spang: Kein Plan vom Netz
- Digitale Demenz – non-digitaler Mist?
- Christian Jakubetz: Computer machen dumm und das Leben endet tötlich
- Constantin Schnell: Der Spitzer geht um
- Hans-Georg Weigand: Die richtige Dosis zählt
- Wenn Manfred Spitzer falsch rechnet und unsauber zitiert
- Droht uns die „digitale Demenz“ (Telepolis 2007)
- Anja Likusa: Verblödung durch Handy, Navi und Computer?
- Stefanie Vogt’s philosophische Kolumne zur Digitalen Demenz
- Dinge, die es nicht gibt: Digitale Demenz
- Digitaler Demenzpatient Manfred Spitzer
- „Digitale Demenz“ oder alles nur Quatsch?
- Satiremagazin Titanik – Digitale Demenz immer schlimmer