Digitale Lernmedien

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Was können digitale Lernmedien zur Lernunterstützung beim Mathematiklernen beitragen?

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Wenn es darum geht, ob und wie digitale Lernmedien im Mathematikunterricht der Primarstufe eingesetzt werden sollen, drängt sich die Frage auf, welche Möglichkeiten sich aus der Nutzung computergestützter Technologie für die Realisierung digitaler Lernmedien im Sinne eines Werkzeuges für die Aneignung mathematischer Kompetenzen bietet, insbesondere gegenüber anderen Arbeitsmaterialien und Medien. Es geht weniger um oberflächliche Aspekte (tolle Animationen, eine spannende Rahmenhandlung etc.), sondern Potenziale, die sich für Realisierung digitaler Lernmedien als Lernhilfe für die Unterstützung des Lernprozesses nutzen lassen und damit einen echten didaktischen „Mehrwert“ bieten. Bei meiner Arbeit an der Entwicklung von Lernsoftware, der Sichtung von (wissenschaftlicher) Literatur zum Thema und der Beobachtung der Lernsoftwarenutzung von Kindern sind mir einige solcher Möglichkeiten und Eigenschaften aufgefallen, wie der Computer im elementaren Mathematikunterricht für die didaktische Unterstützung des Rechnenlernens genutzt werden kann (vgl. Urff 2010):

  • Transfer zwischen Repräsentationen kann sichtbar gemacht werden: Mathematische Lerninhalte können auf unterschiedlichen Repräsentationsebenen dargestellt werden, beispielsweise als Bild (ikonische Ebene) oder als Zahlen und Rechenzeichen (symbolische Ebene). Im Gegensatz zu anderen Lernmedien und Arbeitsmaterialien kann der Computer Zusammenhänge und Übertragungen zwischen diesen Darstellungsebenen verdeutlichen, in dem die Darstellungen interaktiv miteinander verknüpft werden und Handlungen an einer Repräsentation (z.B. die Eingabe einer Zahlziffer) unmittelbare Auswirkungen auf andere Repräsentationsebenen (z.B. Anzeige der Zahl als Plättchen) haben. Dadurch werden neue Formen der Veranschaulichung mathematischer Inhalte möglich, die Bezüge verdeutlichen und als Auswirkungen eigenen Handelns erfahrbar machen können.
  • Dynamische Visualisierung von Operationen: Visualisierungen von Operationen können nicht nur statisch (z.B. durch Durchstreichen von Plättchen bei einer Subtraktion), sondern auch dynamisch erfolgen (z.B. Plättchen „verschwinden“ bei der Subraktion). Dadurch kann die mentale Vorstellung von Operationshandlungen gezielt unterstützt und angeregt werden, und häufige Fehlinterpretationen (die beispielsweise bei der statischen Operationsdarstellungen der Subtraktion auftreten können) vermieden werden.
  • Handlungen an Repräsentationen: Dynamische Visualisierungen können nicht nur „vorgeführt“ werden, sondern die interaktiven Möglichkeiten des Computers machen ein aktives Eingreifen und Steuerung von mathematischen Darstellungen möglich. Dieses „virtuelle“ Handeln (z.B. durch das Verschieben von Plättchen, die Eingabe einer Zahl, das Verändern eines Parameters etc.) ermöglicht die Realisierung virtueller Arbeitsmaterialien, an denen mathematische Konzepte durch experimentelles Lernen erkundet werden können. Solche Materialien können manchmal nachteilige Eigenschaften gegenständlicher Materialien (z.B. kann bei der Darstellung des Stellenwertsystems mit Material das „Überlaufen“ einer Stelle nicht dargestellt werden kann) ausgleichen, indem die möglichen Handlungen und die Darstellung dieser Handlungen besser die mentalen Operationen, die dadurch unterstützt werden sollen, abbilden (z.B. indem Mengen in Fünferportionen verschoben werden entsprechend der „Kraft der Fünf“).
  • Prozessorientiertes Feedback und Hilfe: Feedback und Rückmeldungen können bereits während des Lernprozesses gegeben werden, und zwar sowohl sprachlich (durch Text oder Sprachausgabe), vor allem aber auch visuell (z.B. durch die Hervorhebungen an ikonischen Repräsentanten). Geschickt genutzt, wird dadurch eine konstruktive Aufgabenbearbeitung auf unterschiedlichen Lernniveaus möglich. Hilfestellungen und elaborierte Rückmeldungen können mit zunehmenden Verständnis immer stärker zurückgenommen werden und so von einer Vorstrukturierung und Anleitung zu einer selbstständigen, konstruktiven Bearbeitung hinführen und eine prozessorientierte, permanente Differenzierung erreicht werden.
  • Reduktion kognitiver Nebenbelastungen: Digitale Lernmedien können Nebentätigkeiten, die beim Rechnen anfallen, dem Schüler abnehmen und so kognitive Ressourcen frei machen für konzeptionelles Lernen. So können vom Computer in einer frühen Lernphase Zwischenrechnungen oder die Visualisierung von Rechenergebnissen (vgl. weiter oben: Transfer zwischen Repräsentationen) übernommen werden und mit zunehmendem Verständnis und Sicherheit zunehmend wieder an den Schüler abgegeben werden. Voraussetzung dafür ist eine sparsame Gestaltung der Lernumgebung, um lernunrelevante kognitive Belastungen zu vermeiden (vgl. Cognitive Load-Theorie)
  • Adaptierbarkeit und Adaption: Durch die Möglichkeit, große Anzahlen von Aufgabenstellungen, Hilfsmaßnahmen und Aufgabendarstellungen flexibel anzubieten und zu auch während der Bearbeitung der Übung zu variieren, lässen sich einfach individuelle Lernangebote realisieren. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Auswahl und das Angebot von Variations- und Differenzierungsmaßnahmen an didaktischen Kriterien erfolgen muss nicht zwangläufig eine möglichst hohe Variationsbreite anzustreben ist.
  • Unterrichtspraktische Vorteile: Für den unterrichtspraktischen Einsatz haben digitale Lernmedien einige Vorteile: Lernprogramme lässt sich flexibel einsetzen und anpassen, die Lernprozesse und -ergebnisse können prozessbezogen dokumentiert werden und dem Schüler und Lehrer als Basis für diagnostische Analysen und Rückmeldungen dienen. Ergebnisse und Lernprozesse können aufgezeichnet, gespeichert und wiederholt abgespielt werden und so die Reflexion und Kommunikation über Lerninhalte (z.B. in Rechenkonferenzen) anregen und unterstützt werden.

Die beschriebenen Möglichkeiten und Vorzüge sind als Ideensammlung zu verstehen, was mit digitalen Lernmedien möglich sein könnte. Leider ist mir kaum (kommerzielle) Lernsoftware bekannt, die diese Vorzüge ausreizt. Meiner Meinung nach macht der Einsatz computergestützer Lernmittel nur dann Sinn, wenn es (vor allem didaktische) „Mehrwerte“ gegenüber anderen Medien und Arbeitsmaterialien gibt. Sonst sind digitale Lernmedien nichts mehr als eine mediale Abwechslung und Motivationshilfe ohne didaktischen Nutzen. Vor allem bei komplexen Themenstellungen, die sich nur schwer mit gängigen Darstellungsmitteln veranschaulichen und aktiv-entdeckend erforschen lassen, können computergestützte Arbeitsmittel eine wertvolle Hilfe sein (z.B. die hier bereitgestellten Arbeitsmittel). Zu beachten ist dabei auch, dass digitale Lernmedien Lernwerkzeuge sind und nie Lehrerersatz sein können. Sie sollen das mathematische Denken anregen und unterstützen. Ihr Einsatz muss geplant, begleitet und reflektiert werden. Dabei gelten die selben Kriterien wie für andere Lernmedien und Arbeitsmatieralien im Mathematikunterricht auch.

Literatur

Urff, C. (2010): Potentiale und Perspektiven computergestützter Lernförderung beim Erwerb grundlegender mathematischer Kompetenzen. Zeitschrift für Heilpädagogik, 61 (4), S. 141-150

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[…] setzt Veranschaulichungshilfen gezielt und sinnvoll als Unterstützung ein und bietet damit einen Mehrwert, den viele recht teuren Programmen oft nicht bieten. Beispielsweise werden Operationen dynamisch […]

[…] des virtuellen Arbeitsmittels. Endlich werden in einer Lernsoftware didaktisch konsequent die erweiterten Möglichkeiten des Computers im Sinne eines Darstellungswerkzeuges […]

[…] dass man als Erweiterung zum realen Zwanzigerfeld einsetzen kann. Es bietet ein paar “didaktische Mehrwerte” bietet, z.B. die interaktive Verknüpfung von Handlungen an ikonischer und symbolischer […]

[…] gefällt mir bei einigen Übungen, dass Vorzüge computergestützter Lernumgebungen didaktisch genutzt werden und nicht nur einfach Papier & Bleistift-Übungen in den Computer […]

[…] Computer realisieren, weil der Computer zeitgesteuert Mengenbilder ein- und ausblenden lassen kann (dynamische Anzeige von Repräsentationen). Deshalb habe ich mir einige Realisierungen von Blitzblick-Übungen mit dem Computer genauer […]

[…] Lernmitteln führen können. Diese müssen jedoch allein an ihrer didaktischen Funktion, ihrem Mehrwertpotential, bemessen werden, und nicht an medialen Eigenschaften (vgl. Urff 2009). Deshalb müssen hier auch […]

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