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Computergestützte Handlungen

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Mathematische Arbeitsmittel sind Lehr- und Lernmitteln, mit denen sich handelnd grundlegende mathematische Zusammenhänge erforschen lassen. Im Gegensatz zu nicht-virtuellen Arbeitsmitteln, die man mit den eigenen Händen manipulieren (z.B. umlegen, umdrehen usw.) kann, sind die „realen“ Handlungsmöglichkeiten bei virtuellen Arbeitsmitteln stark begrenzt. Im Prinzip sind die einzigen echten Handlungen Mausklicks oder Tastendruck, bei Touch-Bedienung die Berührung des Displays mit einem oder mehreren Fingern (Multi-Touch). Dies bedeutet, dass die eigentlichen (mathematischen) Handlungen virtuell sind, d.h. vom Computer ausgeführt werden. Der Benutzer gibt nur den Impuls zu der Handlungsausführung. Deutlich wird dies am Beispiel meines virtuellen Zwanzigerfeldes. Es lassen sich dort Wendeplättchen virtuell umdrehen, aber natürlich nicht durch tatsächliches Umdrehen der Plättchen. Stattdessen wird per Mausklick (oder Touch-Klick) auf ein Wendeplättchen die Ausführung der Wendeoperation durch die Software vorgenommen und eine Animation der Wendoperation angezeigt. Diese vom Computer ausgeführte, aber vom Benutzer initiierte Operationshandlung bezeichne ich auch als computerunterstützte Handlung (siehe dazu auch Urff 2010, virtuelle Handlungen).

Was ist das didaktisch Interessante an computerunterstützten Handlungen? Zunächst könnte man argumentieren, dass die konkret erfahrbaren Handlungsmöglichkeiten, und damit auch die Handlungserfahrungen, bei solchen virtuellen Handlungen stark eingeschränkt sind. Werden lediglich die taktil-ölfaktorischen Erfahrungsmöglichkeiten betrachtet, ist dies sicher auch richtig. Das Kind kann ein Wendeplättchen am Computer nicht erfühlen. Und die Handlung des Umdrehens ist nicht unmittelbar mit einer motorischen Bewegung am Wendplättchen gekoppelt. Dieser Einwand ist einer der entscheidenden Gründe, warum virtuelle Arbeitsmittel als Fortführung und Erweiterung der Arbeit mit gegenständlichen Arbeitsmitteln eingesetzt werden sollten. Ein Kind wird vermutlich die virtualisierte Wendeoperation im Computer nur dann richtig interpretieren können, wenn es schon einmal selbst ein Wendeplättchen umgedreht hat oder zumindest diese Handlung am gegenständlichen Zwanzigerfeld beobachtet hat.

Werden aber die visuell-auditiven Erfahrungsmöglichkeiten genauer in den Blick genommen, bieten computergestützte Handlungen als Fortführung realer Handlungen einige didaktische Potentiale für die Gestaltung von Lernmaterialien:

(1) Durch die Übernahme der Handlungsausführung bleiben mehr kognitive Ressourcen für das eigentliche Lernen. Dadurch, dass die Ausführung einer Handlung vom Impuls abgekoppelt ist und vom Computer übernommen werden kann, wird die nicht lernrelevante motorische und kognitive „Belastung“ des Kindes für die Ausführung von Operationen verringert. Das Kind hat somit mehr kognitive Ressourcen für lernrelevante Aktivitäten frei (vgl. Cognitive Load Theory). Dies wird am Beispiel des Einfügen von Wendeplättchen auf ein Zwanzigerfeld deutlich. Während bei einem gegenständlichen Zwanzigerfeld Plättchen von Hand auf das Zwanzigerfeld geschoben werden müssen und das Kind in dieser Zeit ganz mit dieser motorischen Bewegung „beschäftigt“ ist, lässt sich dies am Computer gestützt gestalten*. Beispielsweise wird beim virtuellen Zwanzigerfeld durch einen Mausklick (oder Touch-Klick) vom Programm automatisch eine Einfügebewegung eines oder mehrerer Plättchens auf das Zwanzigerfeld animiert. Das Kind muss sich nicht um die (korrekte) Ausführung dieser Plättchenbewegung kümmern – was auch für die mathematische Konzeptbildung unrelevant ist –, sondern kann die Einfügeoperation und ihre Auswirkungen beobachten. So kann die Aufmerksamkeit unter anderem auf die mit der Handlung zusammenhänge Veränderung auf der symbolischen Ebene (Die Summe vergrößert sich um Eins bzw. um Fünf) gelegt werden.

(2) Die Handlungsausführung kann konzeptuell kontrolliert werden. Während bei Handlungen an gegenständlichen Arbeitsmitteln neben mathematisch sinnvollen Handlungen (z.B. Ablegen eines Plättchens auf dem Zwanzigerfeld) auch Handlungen möglich sind, die keine mathematisch-konzeptionelle Entsprechungen haben (z.B. Übereinanderlegen von Plättchen), können computerunterstützte Handlungen an virtuellen Arbeitsmitteln auf konzeptuell stimmige mathematische Handlungen begrenzt werden. Damit werden nur diejenigen Operationshandlungen angeboten, die für den Lernenden für die Erarbeitung und Entdeckung der didaktisch bedeutsamen Struktureigenschaften von Bedeutung sind. Beispielsweise wird die Handlungsausführung beim Einfügen eines Plättchens auf das virtuelle Zwanzigerfeld vom Computer so umgesetzt, dass ein Plättchen auf eine passende Position des Feldes gelegt wird und die Auswirkungen dieser Handlung direkt auch auf der symbolischen Ebene sichtbar wird. Damit ist beispielsweise gewährleistet, dass nie mehr als 20 Plättchen auf ein Zwanzigerfeld gelegt werden können oder dass rote Plättchen immer zusammenhängend, und damit besser erfassbar, abgelegt werden.

(3) Die Handlung kann über verschiedenen Darstellungsebenen hinweg gekoppelt werden. Dadurch, dass die Ausführung einer Handlung durch den Computer gestützt ausgeführt wird, ist es möglich, Handlungen über mehrere Repräsentationsebenen zu synchronisieren. Wird beispielsweise ein Summand um Eins vermindert (durch Klick auf den Pfeil nach links neben dem Summand), wird nicht nur die entsprechende Zahlziffer (symbolische Darstellungsebene) sowie die Summe um Eins reduziert, sondern gleichzeitig zeigt das Programm die dazu entsprechende Handlung auf der ikonischen Ebene: Ein Plättchen wird vom Zwanzigerfeld entfernt und dadurch reduziert sich auch die Gesamtmenge der Plättchen um Eins. Durch diese gestützte Ausführung und dynamischen Visualisierung wird die Handlungserfahrung über mehrere Darstellungsebenen hinweg gekoppelt. Dies ermöglicht Lernchancen, die für die Entwicklung eines vertieften Verständnisess für grundlegende mathematische Operationen von Bedeutung sein können.

(4) Es lassen sich Handlungen visualisieren, die mit gegenständlichen Arbeitsmitteln nicht möglich sind. Dies ist besonders interessant für die Realisierung von Handlungsprozessen, die ein mathematikdidaktisches Kernkonzept veranschaulichen. Ein Beispiel dafür ist das Legen von Mengen nach der „Kraft der Fünf“ (vgl. Krauthausen 1995). Während es am gegenständlichen Zwanzigerfeld nicht ohne weiteres gelingt, Mengen in Fünferportionen simultan auf das Zwanzigerfeld zu legen, ist dies virtuell computergestützt gut möglich. Beim virtuellen Zwanzigerfeld können beispielsweise Fünfer- sowie Einerportionen eingefügt werden. Dadurch kann das Kind anschaulich erfahren, dass es effektiver ist (und weniger Klicks benötigt) sechs Wendeplättchen aus einem Fünfer und einem einzelnen Plättchen zusammen zu legen anstatt sechs Mal einzelne Plättchen auf das Feld zu legen. Ähnlich ist dies beim virtuellen Hunderterfeld bezogen auf das dezimale Stellenwertsystem: Hier können Mengen in Zehner- und Einerportionen eingefügt werden und so die Stellenwertschreibweise anschaulich über die Darstellungsebenen hinweg erfahrbar gemacht werden.

Fazit

Über virtuelle Handlungen lassen sich bei entsprechender Gestaltung Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten für das mathematische Lernen realisieren, die einen echten didaktischen Mehrwert gegenüber Handlungen an nichtvirtuellen Arbeitsmitteln bieten und als sinnvolle Ergänzung und Weiterführung von realen Handlungen anzusehen sind.

Quellenangaben

Krauthausen, G. (1995): Die „Kraft der Fünf“ und das denkende Rechnen. In: G. N. Müller & E. C. Wittmann (Hrsg.): Mit Kindern rechnen. Frankfurt am Main: Arbeitskreis Grundschule. S. 87-108.

Urff, C. (2010). Computergestützte Förderung grundlegender mathematischer Kompetenzen – Theoretische Analysen zu Mehrwertpotentialen digitaler Lernmedien und empirische Fallstudien zu Lernprozessen bei der Nutzung aktueller mathematischer Lernsoftware durch Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf. Dissertation an der PH Ludwigsburg (Fakultät für Sonderpädagogik) in Vorbereitung.

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* Am Computer lässt sich für dieses Beispiel die Handlung auch so gestalten, dass die Einfügeoperation per Drag and Drop eines Plättchens umgesetzt wird und damit die Handlungsausführung vom Benutzer geleistet werden muss. Dies hat dann teilweise sogar eine erhöhte kognitive Belastung zur Folge, weil Drag and Drop mit der Maus weniger geübte (junge) Kinder motorisch und kognitiv stark belasten kann. Abgesehen davon wird durch eine solche Umsetzung der Einfügeoperationen als Handeln mit Einzelportionen eher das zählende Rechnen gestützt (vgl. Urff 2010).

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Hallo, bin Lerntherapeutin und suche nach wie vor eine geeingnete Software für meine Dyskalkuliekinder. Mir fehlt hier in der Addition z. B. 6 + 7, dass die Kinder zwar die 6 mit 5 und 1 , aber die 7 nicht unter der 6 mit 5 und 2 darstellen können. Dies wäre günstig, dass sie 6 + 7 als 5 + 5 + 1 + 2 sehen können. Hier in ihrer Softwäre erkennen sie es als 6 + 4 + 3.
Wann kann man die Wendi-Software erwerben, ich würde mich dafür interessieren.

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