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Konzeptionelle Überlegungen bei der Entwicklung von „Rechnen mit Wendi“

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Primat der Didaktik: Orientierung am Lernenden

Obwohl es inzwischen viele Computer an Schulen gibt, fehlt es häufig an geeigneter Lernsoftware und passenden Unterrichtskonzepten. Dies liegt wohl vor allem daran, dass Lernsoftware meist zu stark auf den Möglichkeiten des Computers basiert, und didaktische Überlegungen und Erkenntnisse über Aneignungsprozesse bei der Entwicklung eher im Hintergrund stehen (vgl. Rauh 2007, Krauthausen 1994, Mayer 1999). Bei der Entwicklung der Lernsoftware „Rechnen mit Wendi“ waren didaktischen Überlegungen, insbesondere Erkenntnisse über Schwierigkeiten und Hürden beim Rechnenlernen, und ein bewährtes mathematikdidaktisches Arbeitsmittel Ausgangspunkt des Lernsoftwarekonzeptes. Darauf aufbauend wurde versucht, die Potentiale des Mediums gezielt didaktisch zu nutzen und zur Unterstützung mathematischer Lernprozesse einzusetzen („Primat der Didaktik“, siehe Krauthausen 1994).

Ausgangspunkt: Der mathematische Lernprozess und seine „Stolpersteine“

Schwierigkeiten rechenschwacher Kinder im Zusammenhang mit der Addition hängen häufig mit Problemen bei der Ablösung vom zählenden Rechnen zusammen (vgl. Gerster 2003; Lorenz 1996). Zunächst einmal ist das zählende Rechnen ein wichtiges Glied für den Erwerb arithmetischer Fähigkeiten. Die ersten Begegnungen mit Zahlen basieren häufig auf dem Zählen (Zahlenreihe aufsagen, Abzählen von Mengen). Deshalb ist diese Strategie unmittelbar einleuchtend und gibt Sicherheit. Problematisch wird diese Vorgehen erst dann, wenn es auf Dauer das einzige bleibt. Bei einfachen Grundaufgaben ist die Zählstrategie noch sehr effizient (was mit zu einer Verfestigung beiträgt), dagegen werden bei komplexeren Aufgaben die Probleme deutlich: Das Kurzzeitgedächtnis wird bei Aufgaben mit großen Zahlen überlastet, Fehler beim Abzählen treten leichter auf, häufig wird eins zuviel oder eins zuwenig gezählt, durch die fehlende Vorstellung über operative Beziehungen, Analogien und Zerlegungstechniken können Analogieaufgaben (Tauschaufgaben, Umkehroperationen, Verdoppeln, Halbieren, …) nicht effizient gelöst werden, sondern müssen jedes Mal neu abgezählt werden (vgl. Lorenz&Radatz 1993, 117). Bei der Übertragung der Zähltechnik auf die anderen Operationen steigern sich die Probleme. Deshalb ist eine zentrale Präventionsstrategie von Rechenschwäche die frühzeitige Vermittlung und Anbahnung „denkender“ Rechenvorstellungen (Krauthausen 1995, 90) beim Kind. Nichtzählende Rechenstrategien sind beispielsweise Tauschstrategien (2+7=9 weil 7+2=9), Verwendung von Nachbaraufgaben (3+4=7, weil 3+3=6) oder Umkehraufgaben (7-4=3 weil 4+3=7), Verdoppelungs- oder Halbierungsstrategien und dekadische Analogien (13+4 = 17 weil 3+4 = 7). Mithilfe dieser oder ähnlicher Ableitungsstrategien ist das Kind vor allem im Hinblick auf komplexere Aufgaben erheblich schneller und fehlersicherer als per Zählstrategie (vgl. Gerster 1996, 142). Grundlage für die Anbahnung solcher Strategien ist eine Auffassung von Zahlen als Zerlegungen anderer Zahlen (Teil-Ganzes-Konzept), so dass mit Zahlenportionen flexibel gerechnet werden kann und nicht jedesmal ab- bzw. weitergezählt werden muss (vgl. Gerster 2003). Eine strukturierte Zahldarstellung (z.B. entsprechen der „Kraft der Fünf“) erleichtert die schnelle nichtzählende Erfassung größerer Mengen, da normalerweise nur sehr kleine Mengen (<5) simultan ohne Abzählen wahrgenommen werden können.

Ziel der Entwicklung der Lernsoftware „Rechnen mit Wendi“ war es, vor allem die Einsicht in mathematische Zusammenhänge zu fördern und durch die gezielte Verwendung von Veranschaulichungsmittel in der Software nichtzählende Strategien beim Rechnen anzubahnen, zu unterstützen und einzuüben. Dazu wird ein strukturiertes und flexibles Anschauungsmaterial verwendet und anschauliche, prozesshafte Rückmeldungen und Hilfen eingesetzt.

Grundidee und Arbeitsmittel in „Rechnen mit Wendi“

Die Kombination von Rechenfeld und Plättchen verknüpft die strukturierte Darstellung des Zwanzigerraumes mit der operativen Flexibilität der Wendeplättchen und ist deshalb für ein aktiv-entdeckendes Rechnen und den Aufbau von Zahlvorstellungen gemäß der „Kraft der Fünf“ und zur Anbahnung nichtzählender („denkender“) Rechenstrategien eine geeignete Visualisierung (Gerster 2003, 66). Die Möglichkeiten der Veranschaulichung und gleichzeitigen Darstellung auf mehreren Repräsentations- und Abstraktionsebenen – als Rechenaufgabe (symbolische Ebene) und als Darstellung von Wendeplättchen im Zwanzigerfeld (ikonische Ebene) (vgl. Bruner 1972) –  sowie die interaktiven Möglichkeiten des Mediums können hierbei als Ergänzung und Fortführung der Handlungsmöglichkeiten des gegenständlichen Material genutzt werden. Dieser Zwischenschritt zum reinen Zahlenrechnen (der häufig zu schnell erfolgt!) ist besonders auch für diejenigen Kinder hilfreich, die ausgedehntere Möglichkeiten und Begleitung  von (mathematischen) Abstraktionsprozessen und der Entwicklung geeigneter Vorstellungsbilder benötigen.

Gezielte didaktische Nutzung der Potentiale des Computers

Der Computer als (Lern-)Medium hat gegenüber anderen Lernmedien einige Potentiale, die sich didaktisch nutzen lassen. Gerade für den Bereich Mathematik bietet er umfangreiche Möglichkeiten der simultanen (dynamischen) Veranschaulichung von mathematischen Begriffen und Operationen auf mehreren Repräsentationsformen bzw. -ebenen, sowie Interaktivität (unmittelbare Rückmeldung, Hilfen) und Adaptierbarkeit (z.B. Voreinstellungen zur Differenzierung des Lernmaterials für den jeweiligen Nutzer)/ Adaptivität (z.B. die automatische Anpassung der Aufgabenschwierigkeit an die Lernergebnisse), die auch Möglichkeiten der Selbststeuerung des Lernens zulässt. Bei der Entwicklung von „Rechnen mit Wendi“ wurde gezielt nach Möglichkeiten gesucht diese Potentiale zur Unterstützung von Lernprozessen einzusetzen, beispielsweise durch die Möglichkeit, die Entstehung der Aufgaben prozesshaft anzeigen zu lassen und so Zusammenhänge leicht nachvollziehbar zu machen. Zudem bietet die anschauliche Ergebnisrückmeldung die Möglichkeit zu verstehen, warum ein Ergebnis falsch oder richtig ist und daraus zu lernen.

Konstruktivistisches, verständnisförderndes Lernen und Üben

Auch das Lernen am Computer ist ein aktiver, selbstgesteuerter Prozess, der in eine Lernsituation eingebunden ist. Deshalb wurde bei der Programmkonzeption sehr viel Wert darauf gelegt, aktiv-entdeckendes Lernen zu ermöglichen und Aufgaben nicht nur im Sinne eine Reiz-Reaktionsmusters „einzutrainieren“. Dieses Lernverständnis bedeutet auch, dass die Übung am Computer in ein soziales und didaktisches Geschehen eingebunden ist und der Lehrer zentraler Anreger und Unterstützer des Lernprozesses bleibt. Der Computer ist Medium und nicht Vermittler. Insbesondere die Entwicklung geeigneter und flexibler Zahlvorstellungen geschieht vor allem bei rechenschwachen Kindern nicht „automatisch“ (auch nicht am Computer!) sondern muss immer wieder vom Lehrer begleitet und angeregt werden (vgl. Lorenz 1992).

Im Lernprogramm wurde besonderen Wert darauf gelegt, die Eigenkonstruktion des Lernenden zu ermöglichen und anzuregen. So wird beispielsweise die Ergebniskontrolle anschaulich durchgeführt, indem die Lösungsmenge mit der eingegebenen Menge visuell verglichen wird. So wird – ohne viele Erklärungen und demotivierende Richtig/Falsch-Rückmeldungen – sichtbar, warum die eingegebene Zahl das richtige oder falsche Ergebnis ist. Dadurch erhalten die Kinder die Lernchance, aus Fehlern zu lernen und ihr Verständnis der Operation zu verbessern.

Computergestütztes Lernen als Ergänzung zu anderen Übungs- und Darstellungsformen

Besonders für Kinder im Anfangsunterricht Mathematik spielt das „Begreifen“, das Handeln mit gegenständlichen Materialen eine entscheidende Rolle beim Aufbau von Zahl- und Operationsvorstellungen. Der Einsatz des Computers in dieser Altersstufe kommt also nur dort in Frage, wo die interaktiven und visualisierenden Möglichkeiten des Computer sinnvoll das Handeln mit konkreten Material ergänzen und weiterführen können. Das Programm ist für Kinder gedacht, die beim Übergang vom konkret und anschaulichem Rechnen zum symbolisch abstrakten Rechnen besondere Förderung und Übung benötigen.

Im Falle von „Rechnen mit Wendi“ sollten vor der Programmnutzung umfangreiche sinnlich-erfahrbaren Übungen und Handlungen mit dem gegenständlichen Zwanzigerfeld und Wendeplättchen erfolgt sein sowie erste Zahlvorstellungen im Zahlenraum bis 10 oder bis 20 (ebenfalls mit der Unterstützung geeignete Arbeitsmittel) entwickelt sein. Das gegenständliche Material sollte vor und während der Programmbenutzung verfügbar sein, um bei Bedarf die Aufgaben mit dem konkreten Material nachvollziehen zu können. Parallel dazu sollten andere (strukturierte) Übungs- und Darstellungsformen der Addition angeboten werden.

Weitere Informationen und Download von „Rechnen mit Wendi“.

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