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Kritische Bemerkungen zum Einsatz von Kriterienkatalogen zur Bewertung von Lernsoftware

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Kriterienkataloge für Lernsoftware sollen die Qualität eines Lernmittelproduktes sicherstellen. Dabei werden (oftmals rein hypothetische) Annahmen getroffen, welche Merkmale sich positiv auf das Lernen auswirken. Folgende Argumente sind bedenkenswert und sprechen meiner Meinung nach gegen die Fokussierung und (ausschließliche) Verwendung von Kriterienkatalogen zur Qualitätsbeurteilung von Lernsoftware:

  • Die Gewichtung der Kriterien ist streitbar: Die Beurteilerübereinstimmung bei der Quantifizierung der Qualitätskritierien ist mangelhaft. Dies zeigt sich dadurch, dass zum einen viele Kriterienkataloge mit sehr unterschiedlichen Gewichtungen existieren. Zum anderen hat sich in Experimenten gezeigt, dass selbst Experten bei der Vorlage von Kriterien in vielen Fällen in ihrem Urteil über die Wichtigkeit der Kriterien auseinander lagen (vgl. Fricke 2000). Dadurch wird die scheinbare Objektivität, die Kriterien herstellen sollen, wieder relativiert und ist vom verwendeten Kriterienkatalog bzw. urteilenden Experten abhängig.
  • Kriterien sind oftmals willkürlich ausgewählt und ihr praktischer Nutzen wird kaum reflektiert. Eigentlich müsste zwischen jedem Kriterium und der Lernwirksamkeit der Produkte eine (signifikante) Korrelation nachgewiesen sein oder dieser Zusammenhang zumindest theoretisch erklärt werden, was oftmals aber nicht der Fall ist. Fricke (2000) gibt deshalb zu bedenken: „Wenn jedoch nicht bekannt ist, oder wenn keine Hypothesen darüber vorliegen, wie der Lehr-Lernprozeß beim Arbeiten mit Lernsoftware funktioniert, führt die Suche nach Qualitätskriterien leicht zu einer unstrukturierten Anhäufung von niedrig- und hochinferenten Merkmalen.“
  • Damit zusammenhängend wird von vielen Fachdidaktikern die Vernachlässigung (fach-)didaktischen Kriterien beklagt. Oftmals sind die aufgeführten Kriterien nur für eine oberflächliche Beurteilung geeignet und es fehlt an didaktischer Tiefe (vgl. Krauthausen 2007). Es muss dabei auch in Frage gestellt werden, ob statische Kriterienkataloge der dynamischen Verwendung unter unterschiedlichen Einsatzzusammenhängen und didaktischen Situationen gerecht werden können. In diesem Zusammenhang ist auch problematisch, dass oftmals Lernpakete als Gesamtes bewertet werden. In der Realität sind kaum alle Übungen eines Lernsoftware-Pakets durchgängig von der gleichen Qualität und lassen sich als Ganzes bewerten. Hier muss überlegt werden, ob neben einer übergreifenden Beurteilung (etwa der Bedienung oder des didaktischen Konzeptes der Lernsoftware) nicht auch stärker einzelne Übungen und mögliche Verwendungszusammenhänge in den Blick genommen werden.
  • Kriterienkataloge berücksichtigen nicht den Einsatzzweck und Verwendungszusammenhang der Lernsoftware (vgl. Fricke 2000). Es ist unbestritten, dass die Qualität und Effektivität unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen sehr verschieden sein kann. Solche differentiellen Lerneffekte lassen sich auch empirisch nachweisen und zeigen sich in der Literatur zur Lernsoftwareforschung häufig durch (scheinbar) wiedersprüchliche Ergebnisse zur Lerneffektivität von computergestütztem Lernen. Diese Einflüsse werden jedoch von Kriterienkatalogen ausgeblendet und ein kausaler Zusammenhang zwischen Kriterien und Produktqualität angenommen und damit von einem veralteten Medienwirksamkeitsansatz ausgegangen, der der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht wird.
  • Kriterienkataloge sind inhaltsanalytisch bzw. produktorientiert, d.h. sie sagen nichts darüber aus, wie Schüler damit lernen. Sie lenken den Blick auf Eigenschaften des Produktes und weniger auf die Lernprozesse des Kindes, die damit möglich sind (vgl. Neuß 2002).

Kriterienkatalog sind deshalb nicht das „Allheilmittel“ zur Bewertung von Software, sondern liefern allenfalls – bei sorgfältiger Konstruktion auf der Basis von empirischer Lehr-/Lernforschung, (fach-)didaktischer Standards und lerntheoretischen Reflektionen – einen ersten Überblick über relevante Eigenschaften einer Lernsoftware und damit einen Baustein für die Auswahl und Bewertung von Lernmitteln. Eine echte Qualitätsbeurteilung, ob und wie das Lernmittel dann im Unterricht eingesetzt werden kann, muss umfassender und nicht nur reduziert auf Medieneigenschaften erfolgen. Dabei müssen neben (vor allem inhaltlich-didaktischer) Merkmalen der Lernsoftware auch die Rahmenbedingungen des Einsatzes und die Lernvoraussetzungen der Zielgruppe einbezogen werden, um zu einem ganzheitlichen Urteil über die Eignung bestimmter Lernsoftwareprodukte für den jeweiligen Einsatzzweck zu kommen. Insbesondere ist es notwendig, diese Faktoren nicht isoliert, sondern die Nutzung, die Interaktion von Schülerinnen und Schüler mit der Lernsoftware, bei der Bewertung von Lernsoftware zu beachten (vgl. Urff 2009).

Quellenangaben:

Fricke, R. (2000): Qualitätsbeurteilung durch Kriterienkataloge. Auf der Suche nach validen Vorhersagemodellen. In: P. Schenkel, S.-O. Tergan, & A. Lottmann (Hrsg.): Qualitätsbeurteilung multimedialer Lern- und Informationssysteme. Evaluationsmethoden auf dem Prüfstand. Nürnberg: Bildung und Wissen. S. 1-14.

Neuß, N. (2002): Screenrecording. Evaluation der Rezeption von Neuen Medien. In: medien praktisch, 2, S. 21-25.

Urff, C. (2009): Computergestützte Förderung grundlegender mathematischer Kompetenzen – Theoretische Analysen zu Mehrwertpotentialen digitaler Lernmedien und empirische Fallstudien zu Lernprozessen bei der Nutzung aktueller mathematischer Lernsoftware von Schülern mit besonderem Förderbedarf. Dissertation an der PH Ludwigsburg (Fakultät für Sonderpädagogik) in Vorbereitung.

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