Digitale Lernmedien

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Sind Lernprogramme für die Förderung rechenschwacher Kinder ungeeignet?

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Vor kurzem bin ich auf einen ganz interessanten Artikel der Zeitschrift Kopf und Zahl von Angelia Vogel und Elke Focke gestossen, in dem es um Gefahren standardisierter computergestützer Lernprogramme hinsichtlich der Förderung bei Rechenschwäche geht. Die Autorinnen gehen dabei auf drei Grenzen standardisierter Lernprogramme ein, die ich im folgenden kurz skizziere:

(1) Computerlernprogramme können sich keine ausreichendes Bild über die Lernausgangslage des jeweiligen Benutzers verschaffen. Eine qualitative Diagnostik und Fehleranalyse, die Einsicht über Fehlverständnisse der Fehler ermöglicht, ist von einem Lernprogramm nicht zu leisten.

(2) Lernprogramme können nicht über die pädagogisch-psychologische Sensibilität verfügen, die nötig ist um auf die Misserfolge und emotionalen Belastungen von Kindern mit Rechenschwierigkeiten angemessen eingehen zu können. So werden häufig standardisierte Rückmeldungen von Lernprogrammen ausgegeben, die den Schwierigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler nicht gerecht werden (können) und deshalb nicht gerade förderlich für die emotionale Verfassung des Kindes sind.

(3) Viele Lernprogramme weisen große mathematikdidaktische Schwächen auf, die sich bei der Förderung rechenschwachen Kindern besonders problematisch auswirken können. So werden die Benutzer bei vielen Lernprogrammen beispielsweise durch die Aufgabenstellungen, Hilfen und Rückmeldungen eher zu zählenden Strategien hingeführt. Auch sind oftmals die angebotenen Darstellungsweisen unter didaktischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig. Dies kann bei rechenschwachen Kinder Missverständnisse verstärken und Fehlkonzepte verfestigen.

Die Autoren halten in ihrem Fazit fest, dass Lernsoftware nur für „vertiefende Übungsverfahren“ sinvoll eingesetzt werden könne. Bei Dyskalkulie halten sie den Einsatz generell für eher kontraproduktiv.

Mein Kommentar dazu: So einleutend die angesprochenen Aspekte sind und die Kritik für eine Vielzahl der vorhandenen Software sicher richtig ist (sie geben einige sehr eindrucksvolle Beispiele für ihre Ausführungen), gehen die Autoren meiner Meinung nach jedoch von einem falchen Verständnis und falschen Erwartungen an computergestützer Lernprogramme aus. Sie kritisieren, dass Lernsoftware bestimmte „menschliche“ Eigenschaften (emotionale Sensibilität, Einfühlungsvermögen, qualitative diagnostische Kompetenz etc.) nicht ersetzen können und unterstellen dabei, dass Lernprogramme den Lehrer in gewissen Bereichen ersetzen sollte (dies könnte man dann auch anderen Unterrichtsmedien ankreiden: Keiner würde auf die Idee kommen zu kritisieren, dass ein Lehrbuch oder Arbeitsheft nicht angemessen nicht angemessen auf seine Benutzer eingeht, oder?). Ich denke jedoch, dass dies aus guten Gründen gar nicht Sinn und Zweck computergestützer Lernprogramme sein sollte. Lernprogramme, die dies versuchen (z.B. durch Versuche Lehrer-Schüler-Interaktionen nachzubilden), sind zurecht kritikwürdig und nicht für den Einsatz zu empfehlen. Sieht man jedoch Lernprogramme vorwiegend als Lernmedien, die als mathematische Arbeitsmittel vom Lehrer eingesetzt und begleitet werden, müssen andere Maßstäbe angelegt werden. Lernprogramme dienen dann nicht dazu, die Diagnostik und die Beziehung zu einem Lehrer zu ersetzen, sondern sind interaktives Lernmaterial, dass sich – wie andere Medien und Arbeitsmittel auch – als Werkzeug für die Unterstützung von Lernprozessen einsetzen lässt (und sich dann auch an den gängigen mathematikdidaktischen Kriterien für Unterrichtsmaterial messen lassen muss).

Die berechtigte Kritik, dass die didaktische Konzeption und die Gestaltung der Rückmeldungen vieler Lernsoftwareprodukte gravierende qualitative Mängel aufweisen und deshalb die Schwierigkeiten in Mathematik noch verstärken können, kann ich voll unterstützen. Von didaktischen Mängeln vieler Produkte darauf zu schließen, dass ein Einsatz generell nicht zu empfehlen ist halte ich hingegen für ungerechtfertigt. Gerade weil es bislang nur wenige gelungene Beispiele gibt, ist danach zu fragen, wie sich mit dem Computer didaktisch hochwertige Lernmittel realisieren lassen, deren  – vom Lehrer vorbereitet, begleiteter und nachbereiteter – Einsatz insbesondere auch für rechenschwachen Kindern eine Hilfe sein kann. Ganz bestimmt werden Lernprogramme nicht besser diagnostizieren oder sensibler auf das Kind eingehen als der Lehrer, aber vielleicht können sie neue, interaktive Möglichkeiten der Veranschaulichung Entwicklungsanregungen für die Entwicklung von Vorstellungsbildern schaffen, die einen echten didaktischen Mehrwert gegenüber anderen Lernmitteln bieten.

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